Herr Tawil, Sie sind Unterstützer der „Aktionswoche Selbsthilfe 2019“ des Paritätischen Gesamtverbandes. Warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Als Präsident der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung ist mir die Stärkung der Selbsthilfe ein großes Anliegen, weil dort Menschen ihre Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen, um sich gegenseitig zu helfen und am eigenen Schicksal mitzuwirken.
Nach meinem Unfall wurde mir nach und nach klar, wieviel Glück ich hatte und dass ich ohne bleibende Schäden weiterleben kann. Ich habe in den Kliniken viel über neurologische Schädigungen, deren Behandlung und Rehabilitation erfahren. Und ich lernte Menschen kennen, die im Gegensatz zu mir mit dauerhaften Beeinträchtigungen weiterleben müssen. Menschen, die jetzt Unterstützung brauchen. Unterstützung auch in Form von Austausch untereinander, denn jeder Betroffene ist Experte in eigener Sache.
Eine ähnliche Aufgabe haben unsere Seminare, in denen Menschen mit Schädelhirnverletzungen oder Angehörige zusammenkommen, sich austauschen, Gemeinsamkeit erleben und so auch das Geschehene verarbeiten können. Wir geben praktische und finanzielle Hilfe zur Selbsthilfe für schädelhirnverletzte Menschen.
Welche praktischen Berührungspunkte haben Sie persönlich oder eine Person aus ihrem direkten Umfeld mit Selbsthilfe?
Über die Arbeit in der ZNS-Stiftung treffe ich auch Unfallopfer, die sich in der Selbsthilfe engagieren. Wir schaffen immer wieder Anlässe, die Menschen mit erworbenen Hirnverletzungen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenbringen. Das sorgt für einen aktiven Erfahrungsaustausch und eine nachhaltige Vernetzung unter den Betroffenen und Angehörigen. Das Ziel ist Vertrauen in die eigenen Stärken aufzubauen und sich selbst wieder etwas zuzutrauen, z.B. die Gründung oder Leitung einer Selbsthilfegruppe.
Viele Angehörige und auch Betroffene suchen, neben der medizinischen und therapeutischen Unterstützung, auch die Hilfe durch "Nicht-Fachleute". Diese Betroffenen findet man in einer örtlich angesiedelten Selbsthilfegruppe.
Gibt es ein Projekt in der Selbsthilfe, welches Sie besonders beeindruckt hat? Wenn ja: Welches?
Vor kurzem erst haben wir mit dem „Preis für eine besondere Frau“ Ingrid Dettenhofer, die Initiatorin eines Selbsthilfeprojektes zur qualifizierten Nachsorge und Verbesserung der Lebensqualität hirnverletzter Menschen in Regensburg ausgezeichnet. Was dort in den vergangenen Jahren geschaffen wurde, hat mich wirklich begeistert: Eine Beratungsstelle, der Betrieb eines Cafés in der Klinik für Neurologische Rehabilitation und als aktuelles Projekt die Finanzierung und der Bau von Wohnungen für Menschen mit erworbener Hirnschädigung im Zentrum von Regensburg. Und das ist alles aus dem Selbsthilfegedanken heraus entstanden.
Oder Petra Mehring aus dem Saarland. Sie hat in unseren Seminaren oft die Gemeinschaft genossen und aus dem Zusammensein Kraft geschöpft. Und dann wagte sie vorsichtig Pläne zu machen: sie träumte davon in ihrem Wohnort eine Selbsthilfegruppe zu gründen.
23 Jahre nach dem Unfall war es so weit: In ihrer saarländischen Heimat gründete sie eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Hirnverletzungen. Sie hatte schon auch Angst, denn ihre Belastbarkeit hat Grenzen. Trotzdem fühlt sie sich gut gerüstet und hat inzwischen eine Gruppe von Menschen um sich, die ihr Sicherheit geben. „Miteinander über Hürden und Berge“ hat Petra ihr Angebot getauft.
Wir sehen uns als Anstifter und Mutmacher – eine Arbeit die mir viel bedeutet.