Joseph Immanuel Räbel: Was ich euch schon immer mal sagen wollte!

Ich bin Joseph Immanuel Räbel, geboren 1989 in Beeskow im Land Brandenburg. 1995 hatte ich durch einen Verkehrsunfall ein schweres Schädelhirntrauma dritten Grades. Seitdem bin ich ein Spastiker. In den vergangenen 18 Jahren habe ich mich, wie ich meine, alles in allem sehr gut entwickelt, was ohne meine Mutter Corinna Räbel überhaupt nicht möglich gewesen wäre. In dieser Zeit ist für mich wirklich viel passiert. Unter anderem war ich in den Fachkliniken Schwedt und Hohenstücken, in der Lebensgemeinschaft Wickersdorf und der Reha-Klinik Berlin-Frohnau. Da ich durch den Unfall eine Mehrfachbehinderung erlitten habe, bekam ich die ganze Palette durch: Ergotherapie, Physiotherapie, Wassertherapie und Logopädie. Vor allem geholfen haben mir die über Jahre kontinuierlich fortlaufenden Therapien. Mittlerweile befinde ich mich in sehr guten Händen, wohne in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft und werde von sehr fähigen Therapeuten begleitet. Ich habe einen gesicherten Arbeitsplatz gemäß meiner speziellen Behinderung und eine klare Tagesstruktur. Es handelt sich um die Nordberliner Werkstätten.

Die Politiker in Deutschland sprechen immer wieder von Gleichstellung, Barrierefreiheit und selbst bestimmtem Wohnen von Behinderten. Meiner Meinung nach wird aber zu wenig getan, um den Betroffenen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Gerade das fordern wir immer wieder. Einmal pro Jahr gibt es eine große Demonstration, organisiert von der Aktion Mensch, von Lebenswege und Lebenshilfe unter dem Motto “Rettungsschirm für alle“. Nach den Reden des Behindertenbeauftragen der Bundesregierung und der Vorsitzenden der Vereine ziehen wir mit lautem Trommelwirbel vom Bundeskanzleramt bis zum Brandenburger Tor, um unsere Forderungen deutlich zu machen. Manches wurde dadurch schon erreicht, viel bleibt aber nach wie vor zu tun.

Im Folgenden möchte ich aus meinen Erfahrungen zu drei Punkten etwas sagen:

Erstens meine ich: für uns ist eine Betreuervollmacht viel besser als ein gerichtlich bestellter Betreuer.
Ich bin in der glücklichen Lage, auf keinen öffentlichen Betreuer und keine amtliche Betreuung angewiesen zu sein. Meine Eltern haben schon vor meinem 18. Geburtstag bei einem Notar eine Betreuungsvollmacht für mich beantragt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass ein Behinderter als voll geschäftsfähig anerkannt wird. Das trifft für mich zu. So wohne ich jetzt schon seit vier Jahren in einer ambulanten Wohnform. Wenn ich hinter meinem Schreibtisch sitze, fühle ich mich manchmal wie in einem privaten Büro. Ich regle meine Angelegenheiten weitgehend selbst: das Abrechnen, Planen und Organisieren der Therapien, die Termine bei Ärzten, das Bezahlen von Rechnungen durch Überweisungen, das Überwachen meines Kontostandes und anderes mehr. Vor kurzem habe ich ein Computerprogramm in Betrieb genommen, mit dem ich meine Einnahmen und Ausgaben über das ganze Jahr hinweg planen und kontrollieren kann. Das alles ist nur möglich durch die Betreuungsvollmacht, die mir eine größere Selbstständigkeit gibt. Bei manchen Sachen, die ich selbst nicht ganz überblicken kann, hilft mir dann meine Mutter. Wie ich meine, nutzen viel zu wenige der Behinderten die Möglichkeit der Betreuungsvollmacht. Ich möchte in dieser Hinsicht Mut machen.
Was ich hier aufgeführt habe, mache ich neben meiner eigentlichen Arbeit. Ich gehöre einer speziellen Arbeitsgruppe für SHT-Menschen an. Wir erledigen alles Mögliche, von Montage-
Arbeiten bis zu PC-Arbeiten (Daten notieren und erfassen, Tabellenkalkulationen, Etiketten schreiben und bedrucken, Pausenaufsichtspläne, Raumpläne, Lohnbriefe u. a.). Was wir uns wünschen ist: mehr EDV-Arbeiten übertragen zu bekommen.

Zweitens meine ich: Behinderte dürfen nicht über-, aber auch nicht unterfordert werden.
Erfahrungen habe ich mit beidem gemacht. So war ich einmal mit einem BegleitService, aber ohne einen Betreuer, bei einem Arzt. Dort wurde ich mehr oder weniger ignoriert, obwohl ich dann vor Wut rumgebrüllt habe. Ich war einfach überfordert. Das gleiche passierte mir einmal, als ich Hosen kaufen und bezahlen wollte, mich aber einfach nicht verständlich machen konnte. Andererseits wird uns manchmal zu wenig zugetraut, was uns auch nicht hilft. Dafür ein Beispiel: Ich arbeitete in der Schreinerei eines Heimes für Behinderte und konnte schon ziemlich viele Aufgaben bewältigen. Dann las ich in der Beurteilung eines Betreuers: „Joseph kann schon selbstständig den Raum ausfegen!“ Darüber konnte ich nur lachen.

Drittens fällt mir oft auf, dass Nichtbehinderte nicht recht wissen, wie sie mit Behinderten umgehen sollen.
Das ist meines Erachtens ein Problem unserer ganzen Gesellschaft. Für uns ist das manchmal entwürdigend und diskriminierend. Behinderte und Nichtbehinderte sollten meiner Meinung nach viel mehr aufeinander zugehen und miteinander reden, um sich besser verstehen zu können. Wünschenswert wären auch mehr Begegnungsstätten, ferner mehr Hotels und Gaststätten, in denen Behinderte arbeiten. Das könnte dazu beitragen, Begegnungsängste bei Nichtbehinderten und Unsicherheiten bei Behinderten abzubauen. Die Medien, die in dieser Hinsicht schon viel tun, sollten sie dabei unterstützen.

Zum Schluss möchte ich einen besonderen Dank an meinen Lektor aussprechen Herrn Prof. Karl Drechsler.