Pressemitteilung

Es bleibt alles anders - #Aktionswoche18 #seelischegesundheit

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Verhaltensänderungen nach Schädelhirntrauma sind für Außenstehende oft unsichtbar

Manche Offenbarung tut einfach nur weh. So wie jener Moment vor etwa vier Jahren, in dem Elisabeth Franke (Name geändert) realisierte, dass ihr Ehemann für immer ein anderer sein würde als vor seinem schweren Unfall. Nicht wegen körperlicher Einschränkungen – sondern wegen seelischer. „Nach seinem Schädelhirntrauma hatte sich seine Persönlichkeit massiv verändert“, erklärt Franke. „Er konnte sich auf nichts mehr einlassen, konnte sein Verhalten nicht mehr reflektieren und überschritt ständig irgendwelche Grenzen. Ich redete mir ein, dass das schon wieder werden würde, getragen von den Fortschritten, die er in anderthalb Jahren in verschiedenen Kliniken gemacht hat. Doch irgendwann wurde mir klar, dass die Wesensveränderungen wahrscheinlich für den Rest seines Lebens bleiben würden.“ Eine bittere Einsicht. Aber eine notwendige.

So wie Frau Franke geht es vielen Angehörigen von schädelhirnverletzten Menschen, die etwa durch einen Unfall eine Schädigung im Frontalhirn erlitten haben. Empathie und Impulskontrolle sind möglicherweise beeinträchtigt, dazu kommen unter anderem Antriebsminderungen oder eine vermehrte Erregbarkeit. „Wenn sich derartige Störungen manifestieren, hat das natürlich massive Auswirkungen auf das berufliche und das private Umfeld“, erklärt Diplom-Psychologe Markus Frechen, der bei der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung Betroffene und deren Angehörige berät. „Schon leichte Gehirn-Verletzungen können derartige Verhaltensänderungen auslösen, die man mitunter nur schwer in den Griff bekommen kann. Das Problem ist in der Regel, dass die Betroffenen gar nicht verstehen, dass ihre Handlungen falsch sein könnten. Einer unserer Seminarteilnehmer wollte zum Beispiel ständig fremden Frauen über die Haare streicheln. Einfach so. Er musste erst wieder lernen, diesem Drang nicht nachzugeben. Das ist allerdings extrem schwierig und langwierig, und längst nicht jeder Betroffene kommt überhaupt zu der Einsicht, dass er diese Kontrolle braucht.“ Dies sei jedoch die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie. „Viele Betroffene sind nach einer derart traumatischen Erfahrung wie einem Schädelhirntrauma nur damit beschäftigt, sich selbst wieder in den Griff zu bekommen“, erläutert Frechen. „Es ist für sie zu viel, sich in dieser Situation auch noch damit auseinanderzusetzen, wie sie auf andere wirken. Sie wirken dadurch extrem egoistisch, was es ihnen im Umgang mit ihren Mitmenschen zusätzlich schwer macht. Aber ich habe im Laufe meiner Arbeit gelernt, dass schon sehr viel erreicht ist, wenn ein Patient auf die Frage, wie es ihm geht, mit einer Gegenfrage antwortet. Dann ist er bereit für den nächsten Schritt.“

In vielen Fällen treten die Verhaltensänderungen allerdings vorzugsweise im Freundes- und Familienkreis zu Tage. „Wenn Sie jetzt auf meinen Mann treffen würden, käme er ihnen wahrscheinlich völlig normal vor“, erklärt Sandra Schmitz (Name geändert). „Sie würden auf jeden Fall nie auf den Gedanken kommen, dass er aus neun Meter Höhe von einem Dach gestürzt und so heftig auf dem Asphalt aufgeschlagen ist, so dass ihn die Ärzte zunächst aufgegeben hatten.“ Und doch hat dieser schwere Unfall unsichtbare, aber umso tiefere Spuren hinterlassen. „Mein Mann musste vieles neu lernen – und das hat er sich zum Teil bei meinen vier Söhnen und meinem Vater abgeschaut. Leider hat er nicht immer die besten Eigenschaften übernommen.“ Vor allem eine krankhafte Eifersucht macht Schmitz zu schaffen, die sich in der Vergangenheit auch gegen die anderen Familienmitglieder gerichtet hat. „Das geht so weit, dass er Zusammenbrüche simuliert, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen“, sagt sie. „Ich musste erst mühsam lernen, so etwas konsequent zu ignorieren.“ Und ihn ansonsten liebevoll zu lenken und im Notfall zu stoppen. „Er hat in den vergangenen 15 Jahren enorme Fortschritte gemacht, dennoch ist die Situation für mich extrem belastend. Ich bin froh, dass ich inzwischen wieder einer Arbeit nachgehe, um zumindest ab und zu mal rauskommen zu können.“

„Insbesondere für die nächsten Angehörigen von Patienten mit Schädelhirntrauma sollte mehr Begleitung und Beratung zur Verfügung stehen, so wie sie die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung anbietet“, betont Markus Frechen. „Gerade Verhaltensauffälligkeiten sind extrem schwer zu verkraften, auch wenn ich ganz bewusst nie von einer Persönlichkeits- oder Wesensveränderung sprechen würde – derartige Begriffe schaffen nur noch mehr Angst. Ohnehin steigt auch bei den Partnern oder bei Kindern das Risiko von Depressionen und ähnlichen Leiden. Doch wer fängt diese Menschen auf? Das deutsche Gesundheitssystem hilft da leider kaum. Dabei ist es zwingend notwendig, dass sowohl die Betroffenen als auch jene, die ihnen am nächsten sind, mit jemandem über ihre Probleme reden können.“

Auch Elisabeth Franke kann davon ein Lied singen. „Es gab immer wieder Momente, in denen ich an meine Grenzen gestoßen bin“, sagt sie. „Umso wichtiger war es für mich, als ich in der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung eine Anlaufstelle fand, die sowohl mir als auch meinem Mann sehr gut tut. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft wirklich ungemein.“ Auch wenn gerade dieser Aspekt durch die Corona-Pandemie erschwert wird. „Wir sind ohnehin sehr zurückgeworfen worden, weil mein Mann als Risikopatient vieles nicht mehr machen kann. Die Welt um uns herum ist dadurch kleiner geworden. Andererseits leben wir seit nunmehr acht Jahren in einer Ausnahmesituation.“ Auch wenn die von außen vielleicht nicht als solche wahrgenommen wird. „Am Schlimmsten ist es, wenn mir jemand sagt, meinem Mann würde es ja richtig gut gehen“, betont sie. „Das stimmt einfach nicht. Aber wir versuchen, das Beste aus unserer Situation zu machen – und doch irgendwie glücklich zu sein.“


Foto: Diplom-Psychologe Markus Frechen berät schädelhirnverletzte Menschen und deren Angehörige. Zugleich leitet die entsprechenden Seminare der ZNS Akademie.

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