Verleihung des Förderpreises 2001
des
KURATORIUM ZNS und der Hannelore-Kohl-Stifung
an
Herrn Priv.-Doz. Dr. Gerloff und Herrn Dr. Platz
anläßlich der 29. Jahrestagung der DGNKN am 15. März 2001 in Leipzig
durch Prof. Dr. W. Bock, Düsseldorf
Im Jahre 1990 hatte der Vorstand des KURATORIUM ZNS die Stiftung eines Förderpreises für die Forschung im Bereich der Rehabilitation für Unfallverletzte mit Schäden des zentralen Nervensystems beschlossen. Mit der Gründung der Hannelore-Kohl-Stiftung am 19.7.1993 wurde die gemeinsame Ausschreibung als Förderpreis des KURATORIUM ZNS und der Hannelore-Kohl-Stiftung beschlossen. Das Kuratorium und die Stiftung leben ausschließlich von Ihren Spenden, und damit auch die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der neurologischen und neurochirurgischen Rehabilitation
Dieser Förderpreis soll eine Auszeichnung für hervorragende und herausragende Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der neurologischen Rehabilitation sein. Verliehen wird er für besondere Leistungen im Bereich der Rehabilitation Schädelhirnverletzter, insbesondere für wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Verfahren zur Diagnostik und Therapie der neurologischen, neurochirurgischen und neuropsychologischen Rehabilitation. Der Preis besteht aus einer Urkunde und einer Prämie, die anfangs DM 10.000 (EUR 5.112,92) betrug und seit 1995 auf DM 25.000 (EUR 12.782,30) aufgestockt wurde. Er wird alle zwei Jahre verliehen.
In diesem Jahr wurden 20 Arbeiten eingereicht, die von einem Preisrichterkollegium beurteilt wurden. Dieses setzte sich zusammen aus den ärztlichen Vorstandsmitgliedern des KURATORIUM ZNS, Prof. Dr. W. Bock, Düsseldorf, als Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. K. Mayer, Tübingen und den weiteren Herren Prof. Dr. D.Y.von Cramon, Leipzig, Dr. W. Gobiet, Hessisch Oldendorf, Prof. Dr. K.-H. Mauritz, Berlin, Prof. Dr. Dr. P.-W.Schönle, Allensbach.
Hervorzuheben ist die hohe Qualität der eingereichten Arbeiten, so dass es schwer war, nur eine Publikation als herausragend zu bezeichnen. Das Preisrichterkollegium und der Vorstand des KURATORIUM ZNS hatten sich deshalb entschlossen, den Preis zu teilen und zwei Arbeiten zu prämieren. Es handelt sich erstens um Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Christian Peter Ernst Gerloff, Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen, für seine Arbeit: "Zur kortikalen Repräsentation komplexer Fingerbewegungen: Physiologie und Plastizität" und zweitens um Herrn Dr. med. Thomas Platz, Klinik Berlin, mit den weiteren Mitarbeitern Winter, Müller, Pinkowski, Eickhoff und Mauritz für die Arbeit: "Armfähigkeits-Training für Schlaganfall-Patienten und Schädelhirntrauma-Patienten mit leicht- bis mittelgradiger Armparese. Eine randomisierte kontrollierte Studie".
Herr Priv.-Doz. Dr. Gerloff, geboren im Jahre 1963 absolvierte sein Medizinstudium an den Universitäten Freiburg und Wien, hielt sich während des Studiums in England und den USA auf, war seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen, erhielt ein Ausbildungsstipendium der DFG für das National Institute of Health in Bethesda, USA, war von 1996 bis 1997 an diesem Institut fest angestellt und Leiter eines EEG-Forschungslabors. Seit 1998 war er wieder Mitarbeiter in Tübingen, erhielt 2000 die Ernennung zum Facharzt für Neurologie und wurde für die Fächer Neurologie und klinische Neurophysiologie im gleichen Jahr habilitiert. Er legte ein umfangreiches wissenschaftliches Oeuvre vor.
Seine hier ausgezeichnete Arbeit beschäftigt sich mit der funktionellen Anpassung des Gehirns, Plastizität genannt, die nach Hirnschädigungen unverzichtbar ist. Die Forschungen der letzten zehn Jahre hat gezeigt, dass nicht nur das neugeborene sondern auch das erwachsene Gehirn Plastizität aufweist und daher über Erholungspotentiale verfügen muss. Ein Nachwachsen von Hirnarealen ist jedoch hiermit nicht gemeint. Auch Transplantationen von Nervenzellen, die immer wieder propagiert werden, sind hierbei nicht möglich, wenn auch viele Forschergruppen hieran arbeiten. Die enorme Fähigkeit des Gehirns, ausgefallene Hirnteile durch die Mobilisierung intakter Hirnareale für neue Aufgaben funktionell zu ersetzen, ermöglicht die Anpassung des Gehirns an diese geschädigte Situation. Der strukturelle Defekt bleibt bestehen, die Funktion kehrt zurück. Sind die Läsionen am Gehirn klein, kann oft eine vollständige Erholung erreicht werden. Bei größeren Defekten jedoch sind die Ergebnisse unbefriedigend. Hier setzen die Arbeiten von Herrn Gerloff an. Funktionelle Plastizität der Kontrolle komplexer Handfunktionen nach Läsionen des menschlichen Gehirns ist Gegenstand der Arbeit. Er untersuchte die Erholungsfähigkeit des Gehirns in unterschiedlichen Modellen wie frühkindlicher Hirnschaden, Erblindung, Schlaganfall oder Schreibkrampf. Es wurden Konzepte der netzwerkartigen Gehirnplastizität entwickelt oder weiterentwickelt. Er baut Szenarien auf, wie diese Ergebnisse Eingang in die rehabilitative Therapie haben können. Er betont hierbei, dass die Akuttherapie nicht alleiniger Zeitfaktor sein kann, sondern konsequente frühzeitige Rehabilitation erforderlich ist. Als Zukunftsvision führt er an, dass an eng definierten Zeitpunkten nach Hirnschädigung in spezifischer Form physio-ergo-logo-therapeutische Maßnahmen eingesetzt werden, jeweils kombiniert mit Medikamenten, die die plastische Anpassung des Gehirns in der Erholungsphase fördern. Er betont jedoch, dass hierzu molekulare restaurative und neuroprotektive Verfahren - wie z.B. die Transplantation von Nervenvorläuferzellen oder die Gabe zelltodhemmender Substanzen - entwickelt werden müssen.
Die Arbeit von Herrn Gerloff zeigt in sehr deutlicher Weise, wie erfolgreich auf dem Gebiet der neurorehabilitativen Forschung gearbeitet werden kann und Zukunftsvisionen entwickelt werden können. Damit hat die Arbeit den Förderpreis vollauf verdient.
Der zweite Preisträger ist Herr Dr. med. Thomas Platz mit den bereits erwähnten Mitautoren Winter, Müller, Pinkowski, Eickhoff und Mauritz. Herr Dr. Platz begann sein Studium in Heidelberg, wechselte nach Bochum, absolvierte sein PJ-Jahr an der Duke University in USA, famulierte in Edinburgh, Birmingham und Windhoek. Er legte das amerikanische Examen 1989 ab, im gleichen Jahr das deutsche Staatsexamen und wurde in Heidelberg promoviert. Er ist seit 1989 klinisch und wissenschaftlich an der Klinik Berlin tätig, zwischenzeitlich in der Psychiatrie im Wenckebach-Krankenhaus, Berlin. 1995 konnte er als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung klinische und wissenschaftliche Studien am ‚Institute of Neurology' am Queen Square Hospital, London, durchführen. Als Stipendiat des deutschen akademischen Austauschdienstes war er in der Abteilung für Biostatistik und Epidemiologie in Montreal, Canada. 1996 erhielt er die Anerkennung als Arzt für Neurologie mit fakultativer Weiterbildung in Klinischer Geriatrie. Seit 1997 ist er als Oberarzt in der Klinik Berlin tätig. In der hier preisgekrönten Arbeit beschäftigt er sich mit einem speziellen Training für die Wiedererholung der Funktion des Armes. Armlähmungen zählen zu den häufigsten Folgen eines Schlaganfalls oder auch eines Schädelhirntraumas. Bei Patienten, die spontan eine gute Erholung der Armfunktion zeigen, verbleiben behandlungsbedürftige Restdefizite der Bewegungskontrolle. Für diese Patientengruppe mit eher leichtgradiger Armlähmung gab es bisher keine spezifischen Behandlungsverfahren mit nachgewiesener Wirksamkeit. Das Armfähigkeitstraining wurde für diese Patientengruppe an der Klinik Berlin durch die genannte Arbeitsgruppe neu entwickelt und in einer klinischen Studie auf ihre Wirksamkeit geprüft. Ausgangspunkt der Arbeiten war, dass auch bei guter Kraftentwicklung im vorher gelähmten Arm motorische Leistungseinschränkungen bleiben. So ist z.B. die Zielbewegungsfähigkeit des Armes noch meist reduziert auf die Fähigkeit, den Arm ruhig zu halten oder kleinere Objekte geschickt zu manipulieren oder die Fähigkeit, den Arm langsam präzise zu bewegen. Hieraus können relevante Behinderungen im Alltag - vor allem im beruflichen Alltag - resultieren. Das Armfähigkeitstraining stellt hier einen spezifischen Ansatz dar. Geübt wird hierbei die Zielbewegungsfähigkeit, die Handruhe, die Geschicklichkeit und die präzise Führung des Armes. Andererseits wird das Leistungsvermögen gezielt gefördert, also die Präzision und die Geschwindigkeit der Bewegung. Das Armfähigkeitstraining enthält weiterhin Strukturen, von denen man weiß, dass sie zu einer Leistungsverbesserung führen können. In die klinische Studie, die randomisiert erfolgte als kontrollierte Studie, wurden 60 Patienten eingeschlossen. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass das Armfähigkeitstraining wirksam ist. Damit steht den Patienten nach Schädelhirntrauma oder Schlaganfall ein wirksames Armfunktionstraining zur Verfügung. Es ist unmittelbar in Klinik und Praxis einsetzbar. Diese Arbeit steht stellvertretend für viele positive Entwicklungen auf dem Gebiet der Neurorehabilitation im Alltag. Aufgrund der Förderung dieses wichtigen Zweiges der praktischen Medizin ist es gelungen, den rehabilitativen Alltag in diesen Spezialkliniken deutlich voranzutreiben zum Wohle dieser oft schwer geschädigten und behinderten Patienten.